Einer Meinung
16. November 2021

„Troll? Troll! Verdammt, wo steckst du Troll?“ Der kleine Troll scheint nicht da zu sein. Doch insgeheim will er einfach nicht da sein. Nicht hier. Nicht jetzt. Er träumt sich lieber weit weg. Irgendwohin, wo er dem hiesigen Wahnsinn entfliehen kann und wo es friedlich und harmonisch zugeht und all die dämlichen, ignoranten und niveaulosen Töne um ihn herum ihn verschonen. Doch die Stimme lässt ihm mal wieder keine Ruhe und ruft nun noch lauter: „Troll verdammt noch mal, nun antworte endlich. Ich weiß doch, dass du da bist. Lass die Spielchen und rede mit mir!“ Heute ist es die Stimme, die jemanden zum Reden braucht.

Die Stimme weiß, weshalb der kleine Troll manchmal in seine eigene kleine, aus unermesslicher Phantasie gebaute Welt entflieht. Sie selbst würde es ihm hin und wieder gern gleichtun und einfach verschwinden. Nichts mehr hören und nichts sehen von all dem ganzen Dilemma, was um sie beide herum geschieht. Doch sie ist die Stimme und ihre Aufgabe ist es nunmal, dem kleinen Troll unmissverständlich ihre Meinung zu sagen. Ihn damit aus seinen Reserven zu locken, ihn wach zu rütteln und ihm so die Chance zu geben, über sich selbst und seine Gedankenwelt hinaus zu blicken und an sich selbst zu wachsen. Sie zeigt ihm immer wieder auf, was in ihm ist, um so wieder und wieder in Ruhe alles Dagewesene und Erlebte reflektieren zu können, sich selbst dabei nicht aus den Augen zu verlieren und den Fokus auf das Schöne im Leben zu lenken. Doch heute? Heute hat der kleine Troll wirklich allen Grund einfach in seine Phantasiewelt zu flüchten.

Viel zu oft vergräbt sich der kleine Troll seit Jahren irgendwo weit weg in seine Gedanken. Immer dann, wenn er es schön haben möchte und der Realität für eine Weile entfliehen will. Das kann er ja auch gerne tun, denkt sich die Stimme, denn sie sieht dabei sehr wohl auch die positiven Aspekte und den Nährboden für seine zahlreichen und schönen Geschichten und Gedanken, die sich voller Wärme in ihm zurecht spinnen. Doch verliert der kleine Troll sich auch gern darin und findet manchmal nur schwer wieder zurück in die Wirklichkeit. Nicht selten macht ihn dann das unfassbar melancholisch und die Stimme mag es nicht, ihn immer so Gedankenversunken und traurig zu sehen. Und genau deshalb kann sie nicht einfach still sein.

„Troll, mir reicht es gerade mal wieder mit dir.“, faucht sie in die drückende Stille. ‚Wenn er wenigstens vor sich hin jammern würde‘, denkt sie, ‚dann könnte sie ihn so lange kitzeln, bis er endlich explodiert und mit ihr spricht.‘ Doch so, in dieser unerträglichen Stille wird sie ganz nervös und auch das Gefühl nicht los, irgendetwas tun zu müssen. „Troll, du machst mich gerade unheimlich wütend – und das weißt du auch!“ Der letzte Teil des Satzes erstickt beinahe, so verzweifelt ist sie. „Troll, bitte.“, unternimmt sie einen letzten flehenden Versuch.

„Ich bin doch hier.“, kommt es jetzt leise und still aus einer dunklen Ecke. „Keine Sorge Stimme, ich hau nicht einfach ab. Ich weiß nur gerade nichts zu sagen. Ich bin so müde und so kraftlos. Ich habe einfach keine Lust zu reden.“ Der kleine Troll schafft es heute nicht ein mal in seine sonst so geliebte Gedankenwelt zu entfliehen und sitzt einfach nur da. „Weißt du Stimme, ich verstehe diese Welt einfach nicht mehr. Das heißt, ich habe sie zwar noch nie wirklich verstanden, doch irgendwie verstehe ich sie jetzt immer weniger. Es gab mal eine Zeit, da konnte ich wenigstens all das, was ich gelernt, erlebt und gesehen habe irgendwie zuordnen und so ansatzweise verstehen. Wenngleich ich es nie so wie die meisten von ihnen wirklich so gefühlt habe, so konnte ich wenigstens ansatzweise ihr Verhalten verstehen. Doch jetzt. Jetzt fehlt mir trotz sämtlicher erlernter Logik einfach jegliches Verständnis für ihr Handeln. Ich fühle mich noch weiter von allem und jedem entfernt, wie ich es ohnehin schon tue.“ Der kleine Troll seufzt leise, blickt auf den erdigen Boden seiner Hütte und lässt seine Schultern hängen, während sein gerundeter Rücken ganz klein und zerbrechlich erscheint.

Die Stimme schweigt. Auch sie kann nicht wirklich verstehen, was gerade um sie herum passiert und nun sucht sie, so gar nicht ihrer Natur entsprechend, verzweifelt nach Worten. „Troll, mir geht es ähnlich wie dir.“, musste sie dem kleinen Troll zustimmen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal zu dir sage, aber ich denke wie du. Mir fällt einfach kein Grund ein, warum die Welt da draußen sich so verhält. Wieso sie einander beschimpfen, sich beschuldigen und keinerlei Empathie und Verständnis für sich und Ihre Umwelt aufbringen können. Warum sie voller Zynismus und Unwahrheiten aufeinander losgehen. Warum sie nach Ausreden, statt Lösungen suchen und alles kritisieren ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was sie von sich geben. Mir fehlen einfach jegliche Gegenargumente, um mit dir zu streiten.“ Der kleine Troll blickt langsam auf und sieht die Stimme an. Er sagt nichts. Er starrt sie nur erstaunt an.

Ein seltenes, wenngleich auch gegenseitiges Einvernehmen liegt in der feuchten, nach modernden Blätten duftenden Höhle. Still und ohne Worte. Sie blickten beide betrübt vor sich hin und wissen, dass es nichts weiter zu sagen gibt. Sie sitzen einfach da, beide mit hängenden Köpfen und wissen nichts zu sagen. Eine ganze Weile ist jeder ganz nah bei sich und doch sind sie zusammen.

‚Immerhin sind wir wieder vereint‘, denkt die Stimme leise bei sich und ist froh darüber, im kleinen Troll den besten Freund auf Erden zu haben.

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